Veranstaltung: | 3. Landesmitgliederversammlung am 13. und 14.11. |
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Tagesordnungspunkt: | 3. Anträge |
Antragsteller*in: | Gregor Laukert, Madeleine Linke, Jan Vorbrodt |
Status: | Angenommen |
Beschlossen am: | 08.11.2021 |
Eingereicht: | 07.11.2021, 22:54 |
A1: Mobilitätswende für mehr Gerechtigkeit
Antragstext
Mobilität heißt Freiheit, Selbstbestimmung, Lebensqualität und viele
Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Eben diese Mobilität haben wir in der Vergangenheit vom Auto abhängig gemacht.
In Folge sind unsere Städte voll davon, es gibt keine Parkplätze und auf den
Straßen herrscht Stau. Wir leben (noch) in autogerechten Städten. Die meisten
Alternativen zum motorisierten Individualverkehr sind noch viel zu häufig
unattraktiv, voller Barrieren, teuer und unflexibel.
Dabei sollte eigentlich klar sein: Eine für den Klimaschutz notwendige
Mobilitätswende ist nur möglich, wenn sie soziale Gerechtigkeit als zentrales
Anliegen begreift und Mobilität allen zugänglich macht. Richtig umgesetzt, kann
sie so ein wichtiger Schlüssel für eine gerechtere Gesellschaft werden.
Wir sehen im aktuellen System zwei entscheidende Probleme:
Das erste Problem erfährt bereits viel Aufmerksamkeit: Unser Verkehrswesen ist
immens klimaschädlich. Doch warum ein Umstieg auf Elektrofahrzeuge als 1:1-
Substitution und Appelle an das Konsumverhalten Einzelner keine Lösung sind,
zeigt insbesondere ein Blick auf das zweite zentrale Problem:
Der Zugang zu Mobilität ist voller Mauern und ungerecht verteilt.
Ländliche Räume sind oft wenig bis gar nicht mit nachhaltiger
Mobilitätsinfrastruktur bedacht. Wer früh am morgen, am Abend oder einfach
spontan unterwegs sein will, ist stets auf ein Auto angewiesen.
Auch in Städten wird das Auto noch immer ins Zentrum aller Planungen gestellt.
Dabei ist das auch über die Abwägung der ökologischen Probleme hinaus eine
Fehlplanung. Das System "jede Person besitzt ihr eigenes Auto" ist nicht haltbar
oder zukunftsfähig. Die Fläche in unseren Städten und Dörfern ist begrenzt, doch
immer mehr Straßen für immer mehr Autos heißt, wir brauchen immer mehr
Parkplätze und haben immer mehr Staus, wegen dem dann immer mehr Straßen gebaut
werden. Flächenversieglung und unattraktive Zentren sind die Folge. Autos
verbrauchen unfassbar viel Platz, der für öffentliche Freiräume so dringend
notwendig wäre. Statt breiter Wege voll mit Aufenthaltsräumen, Bäumen, Cafés
oder Parks sind unsere Ortszentren heute geprägt von grauen Parkplätzen, breiten
Straßen und der Lärm- und Luftverschmutzung, die unmittelbar mit diesen
einhergeht.
Wir haben eine Gesellschaft gebaut, in der Mobilsein eine Notwendigkeit für die
gleichberechtigte Teilnahme am alltäglichen Geschehen ist. Dieselbe Gesellschaft
haben wir strukturell auf das Auto ausgerichtet - und damit alle vor große
Hürden gestellt, die kein Auto fahren können oder wollen. Kurz: Das Auto ist
eine Mobilitätsoption, die ausschließt. Egal ob Jugendliche ohne Führerschein,
die nicht fahren dürfen, Menschen mit Beeinträchtigung, die nicht fahren können
oder Menschen mit knappen Finanzen, die die Anschaffung sowie die hohen
laufenden Kosten, die mit einem Auto einhergehen, nicht stemmen können.
Was uns selbstverständlich auch bewusst ist: Gerade im ländlich-geprägten
Sachsen-Anhalt können wir uns nicht von heute auf morgen vom Auto trennen. Wir
haben uns von ihm abhängig gemacht. Menschen sind auf ihr Auto angewiesen und
andere Optionen fehlen, sind zu teuer oder verfügen nicht über die benötigte
Flexibilität. Aber nicht, weil andere Optionen schlechter wären, sondern weil
andere Optionen von der Politik bewusst ausgeblendet wurden. Ein wichtiges
Beispiel ist hier auch das Fahrrad, das zwar grundsätzlich eine klimaschonendes
Fortbewegungsmittel für kurze Strecken sein kann, aufgrund von katastrophaler
Infrastruktur – also fehlenden oder plötzlich endenden Fahrradwegen,
gefährlichen Kreuzungen etc. – doch oft keine echte Alternative ist.
Diese Abhängigkeit heißt für kurzfristige politische Handlungen, dass
Preissteigerungen im Individualverkehr eine Problematik der sozialen
Gerechtigkeit darstellen, da sie auch stets die betreffen, die für Alltag und
Arbeit auf ihr Auto angewiesen sind.
Der erste Schritt kann also nur sein, diese Abhängigkeit aufzulösen, indem wir
öffentliche und klimaschonende Angebote wie Bahn, Bus, Tram u.v.m attraktiver
machen, und zwar unabhängig vom Geldbeutel oder Wohnort.
Für uns ist daher klar: Mobilität gehört zur notwendigen öffentlichen
Daseinsvorsorge und muss auch endlich so gedacht werden!
Daher stehen wir konkret für folgendes:
- Unsere Perspektive ist eine öffentlich organisierte
Mobilitätsinfrastruktur. Der Bahn-Fernverkehr, die Regionalzüge und das
ÖPNV-Netz sind öffentliche Daseinsvorsorge und gehören damit in
öffentliche Hand, getrennt von kapitalistischen Profitzwängen. Sie sollten
gemeinwohlorientiert und ausfinanziert sein.
- Reisen mit Bus & Bahn muss für alle erschwinglich sein. Ein klassisches
Beispiel ist hier der Fernverkehr der DB, der Dank versteckten Kerosin-
Subventionen und falscher Preispolitik auf innerdeutschen Strecken teils
vielfach teurer als Flugreisen angeboten wird. Aber auch in Sachsen-Anhalt
müssen die Ticketpreise sinken, zum Beispiel, indem Tarifzonen sinnvoll
kombiniert und erschwingliche Ticketangebote wie 365€ Tickets angeboten
werden. Insbesondere Schüler*innen, Auszubildende und Studierende sollten
neben Sozialhilfeempfänger*innen auch kostenlos mit dem ÖPNV von A nach B
kommen können.
- Investitionen in die Schiene sind dringend notwendig. Für die fehlende
Infrastruktur gerade im ländlichen Raum wäre die Reaktivierung
stillgelegter Schienenstrecken, die oft noch bis heute von lokalen
Initiativen gepflegt und erhalten werden, ein erster Schritt. Eine
Reaktivierung ist ein vergleichsweise niedrigschwelliger Anfang für die
Ausweitung des Schienennetzes in Sachsen-Anhalt. Aber auch abseits davon
müssen wir Bus- Bahn- & Tramnetze ausbauen, elektrifizieren, neue
Haltestellen schaffen und Taktungen verdichten. Die Gelder, die im Kontext
der Klimakrise in die sozial-ökologische Transformation gesteckt werden
müssen, sollten hier einen Schwerpunkt finden. Ziel für ländlichen Raum
muss eine Mobilitätsgarantie sein: Von 5 Uhr morgens bis Mitternacht muss
jedes Dorf mindestens stündlich mit dem nächsten Mobilitätszentrum (z.B.
einem Bahnhof) verbunden sein. Nur so kann der klimaschonende öffentliche
Personen-Nahverkehr eine echte Alternative für den Alltag sein.
- Es braucht einen neuen Schwerpunkt in der Dorf- und Stadtplanung:
Platzsparende, barrierefreie und klimaschonende Mobilität schafft neuen
Raum, der der öffentlichen Aufenthaltsqualität zugutekommt. Dafür müssen
wir ein durchgängiges und sicheres ÖPNV-, Rad- und Fußwegenetz aufbauen
und diese dadurch zu einer echten Option für alle Kurz- und Mittelstrecken
machen.
All diese Forderungen werden selbstverständlich auch dadurch gestützt, dass sie
uns den Weg in eine klimaneutrale Mobilität ebnen. Und das sozial-gerecht.
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Glossar:
Mobilitätswende: Umdenken in der Verkehrspolitik. Zumeist ist eine Abkehr vom
Fokus auf das Auto und Klimaneutralität die Hauptidee.
Verkehrswesen: alles, was mit Mobilität in Verbindung steht. Also Straßen,
Autobahnen, Schiene, Parkplätze, Autos, Züge, ...
Infrastruktur: Notwendige Voraussetzung für die Versorgung in einem Land. Sowohl
für Personen als auch wirtschaftlich. Z.B. Straßen, Krankenhäuser, Schulen,
Internetleitungen, Mobilfunknetz, ...
Daseinsvorsorge: Eigentlich staatliche Aufgabe, lebensnotwendige Infrastruktur
für alle Menschen zu erhalten und zu pflegen.
Öffentliche Hand: Gesamtheit aller staatlich getragener Institutionen. Z. B. der
öffentlich-rechtliche Rundfunk oder Universitäten.
Konsum-shaming: Probleme auf das Verhalten einzelner runterbrechen und diese
dafür Verantwortlich machen, obwohl einzelne nicht oder nur verschwindet gering
verantwortlich für die Probleme sind. Die wahren Ursachen sind meist
systematisch, also von Politik und Wirtschaft bestimmt.
Versteckte Subventionen: Kerosin ist von der Energiesteuer und internationale
Flüge von der Mehrwertsteuer befreit. Der Flugverkehr hat damit einen
unausgeglichenen Vorteil gegenüber anderen Mobilitätsangeboten, wird also
indirekt staatlich unterstützt (subventioniert).
Sozial-ökologische Transformation: Umbau der Gesellschaft hin zu
Klimaneutralität und mehr sozialer Gerechtigkeit.
365€ Ticket: Ein Ticket, dass 365€ kostet und ein Jahr gültig ist, also 1€/Tag.
Begründung
erfolgt mündlich
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